Buch des Monats August 2025:
Regnier de Graaf: Histoire Anatomique Des Parties Genitales, De L'Homme Et De La Femme, Qui servent A La Generation. Avec Un Traité Du Suc Pancreatique, Des Clisteres Et de L'Usage Su Syphon. Composeé En Latin Par Monsieur Graaf, Medécin, & célébre Anatomiste de la Ville de Delft, en Hollande. Et traduit en François par Monsieur N.P.D.M. Enrichie de quarante une Planches en taille douce. Basel: Emanuel König, Lyon: Hilaire Baritel [1699]. VD17 23:758998S.
Erworben von der Herzog August Bibliothek, Signatur Xb 11316
Es handelt sich um die französische Übersetzung einiger lateinischer Schriften des Anatomen Regnier de Graaf (1643–1673) aus Delft. Der seltene Druck konnte erstmals im VD 17 erschlossen werden, weitere Exemplare finden sich in Frankreich und Italien. Es ist zudem der einzige Druck der Werke Graafs im deutschsprachigen Raum.
Das Französische ist nach dem Lateinischen und Deutschen die dritthäufigste Sprache im VD 17, von den knapp 3.600 französischen Drucken sind allerdings die meisten anonym oder fingiert, nur 41 stammen aus Basel. Die teilweise getilgten Provenienzvermerke deuten auf eine Besitzgeschichte in Frankreich und vielleicht Süditalien. Der Basler Drucker Emanuel König (1636–1707) zeigt eine Affinität zur Medizin, bedingt vermutlich auch durch die medizinische Karriere seines Sohnes Emanuel (III., 1658–1731), der nach langjährigen Studien und Reisen ab 1695 an der Universität Basel Fuß fasste. Eine weitere, 1701 datierte, Ausgabe von Graafs Schriften in französischer Sprache, mit dem fingierten Drucker Federic Clouski in Warschau (Nouvelles decouvertes sur les parties de l‘homme et de la femme, qui servent a la generation), stellt sich bei genauerem Hinsehen als identisch mit Königs Druck heraus. Es hängt vermutlich mit der expliziten Darstellung von Sexualorganen und ihrer Funktionen zusammen, dass der Basler Drucker dieses Werk nicht direkt, sondern durch Mittelsmänner in weit entfernten Städten vertreiben ließ. Der Übersetzer zieht es ebenfalls vor, anonym zu bleiben, allerdings erscheint er unter demselben Akronym schon 1691 in einem Druck von Hilaire Baritel in Lyon. Auch hier handelt es sich um die Übersetzung eines medizinischen Texts aus dem Lateinischen (Thomas Burnet: Le trésor de la pratique de medecine).
Die Sammlung erschien posthum, nachdem der Autor mit einer Ausnahme nur auf Latein veröffentlicht hatte. Sie enthält sechs Schriften von Graaf, beginnend mit seinen Abhandlungen zu den männlichen und zu den weiblichen Geschlechtsorganen. Die Vorlage waren Graafs lateinische Opera omnia in der 1677 in Leiden, und nicht in der 1678 in Lyon erschienene Ausgabe, wie es angesichts der Verbindung des Übersetzers zu Lyon zu vermuten wäre. Graaf veröffentlichte seinen Traktat über den Pankreassaft (die Verdauungsenzyme der Bauchspeicheldrüse) während seines Studienaufenthalts in Paris 1666 selbst in französischer Sprache, später gab er ihn auf Lateinisch („en faveur de ceux qui n‘entendoient point le François“, Bl. aa2r) neu heraus. Die französische Ausgabe von 1699 unterscheidet sich daher erheblich von der früheren, die Kupferstiche wurden dagegen fast unverändert übernommen.
Die Werke Graafs sind Produkt einer langjährigen Praxis im anatomischen Theater von Delft. Die 1614 gegründete und 1654 erweiterte Einrichtung diente der lokalen Chirurgengilde zu Ausbildungszwecken und war auch darüber hinaus ein Anziehungspunkt für wissenschaftlich und künstlerisch interessierte Personen. Graaf spielte als universitär ausgebildeter Mediziner eine führende Rolle, die Universitätskarriere in Leiden blieb ihm jedoch wegen seines katholischen Glaubens verwehrt. Durch seine zumeist in Leiden gedruckten Publikationen erwarb er sich ein europaweites Prestige als Anatom. Er erklärt in der Einleitung, die Sektionen wann immer möglich durchgeführt und bei der Untersuchung der Geschlechtsorgane jedes Mal etwas dazugelernt zu haben (Preface, S. 1). Graaf zeigt eine herausragende Kenntnis besonders der weiblichen Anatomie, die ihn zu mehreren wegweisenden Erkenntnissen führte. Er beschrieb im Traktat über die weiblichen Geschlechtsorgane als erster die Ovarialfollikel und vertrat die These, dass auch lebend gebärende Tiere aus einem im weiblichen Körper gebildeten Ei („d‘un œuf qui existe avant le coït dans les testicules des femelles“, Preface, S. 2) hervorgehen. Diese sowohl Aristoteles als auch der gängigen wissenschaftlichen Auffassung widersprechende Ansicht wird ausführlich begründet und auch mit Darstellungen der entsprechenden Geschlechtsorgane von Tieren verdeutlicht. Graaf starb 1673 im Alter von 32 Jahren, vermutlich durch Suizid. Die Druckgeschichte seiner Werke bis zum Ende des Jahrhunderts zeugt von seinem großen wissenschaftlichen Prestige und dem fachlichen Wert insbesondere der beigegebenen Kupferstiche; wie der Vergleich mit beiden Ausgaben der Opera omnia zeigt, wurden diese für die französische Neuausgabe aufwändig nachgestochen.